1990er • Der Rock in der Tasche
7. August 2017
Ich war einmal ein blauer Faltenrock aus dem Hause H. Spängler in Kirchzarten. Der Ehrgeiz meines Erzeugers war es, ein praktisches und bürotaugliches Kleidungsstück zu kreieren, das in jede Frauenhandtasche passt. Berauscht von seiner patenten Idee und angeturnt von der Logomania der 90er-Jahre, erfand er auch gleich ein schickes Label für mich, und ließ es als Trademark registrieren. So kam ich zu meinem Namen »Der Rock in der Tasche«. Zusammen mit etlichen Kollegen reiste ich im Firmenkombi eines Vertreters landauf und landab. In jeder Boutique, die er besuchte, schwärmte er von meiner unglaublichen Verwandlungs- und Anpassungsfähigkeit. Meine künftige Besitzerin war von der Möglichkeit, meine Falten am Gürtelband zusammenzuschieben und jeder Taille anpassen zu können, so begeistert, dass sie gleich hundert Exemplare bestellte.
Doch so sehr ich mich auch bemühte, mich den Kundinnen von meiner besten Seite zu präsentieren, keine wollte mich haben. Ich war ihnen einfach nicht modisch genug und mochte ich noch so praktisch sein. Dauernd musste ich mich beleidigen lassen, ich wäre nicht stylisch genug, meine Länge wäre »omamäßig« oder meine Knöpfe zu spießig. Auch meine Besitzerin verließ schließlich der Glaube an mich und sie steckte mich zusammen mit vielen anderen Kollegen in einen Karton. So verbrachten wir die nächsten neunzehn Jahre in einem Lagerraum. Erst beim Ausräumen ihres Geschäfts fand sie uns wieder. Sie zeigte uns ihrer Nichte, die zu dieser Zeit im Veränderungsatelier »Bis es mir vom Leibe fällt« arbeitete, in der Hoffnung, dass die unserem Leben vielleiht doch noch einen Sinn geben könnten.
So wurde ich vom »Rock in der Tasche« zur »Tasche aus dem Rock«.